Predigt am 22.03.2020

Der Gottesdienst muss wegen der Präventionsmaßnahmen ausfallen. Da Prädikantin Hanfland ihre Predigt für den 22.03. aber schon vorbereitet hat, wollen wir sie Ihnen nicht vorenthalten.

Der heutige Predigttext findet sich beim Propheten Jesaja 66, 10-14.
„Liebe Gemeinde, ganz gleich, ob wir eine solche bedingungslos liebende Mutter, wie sie der Text beschreibt, gehabt haben oder nicht: die Sehnsucht nach Geborgenheit, Vertrauen und Trost ist in unser aller Herz eingeschrieben.

So wie der Sonntag „Laetare“ mit dem Ausblick auf ein Ende des Leidens tröstet und ein „Dazwischen“ zwischen Aschermittwoch und Ostersonntag ist, ist unser Leben aufgespannt zwischen Leid und Hoffnung.

Aus der Sicht eines Kindes zweifelsfrei ein paradiesischer Zustand:
Toll, die Aussicht, sich ganz fallen lassen zu können. Wunderbar, jederzeit an die Nahrung spendende Mutterbrust zu können. Alle unsere Bedürfnisse nach Trost, Nähe, Geborgenheit und Vertrauen werden in dieser Verheißung rundum erfüllt. Es gibt keine Konkurrenz; es wird für alle reichen.
Ein Bild überbordender Fülle, und das mitten in der Fastenzeit und dazu in einer Zeit, in der Angst das vorherrschende Lebensgefühl in unserer Gesellschaft zu sein scheint.
Dieses Bild der freudevollen Fülle passt zum Namen des heutigen Sonntags, der „laetare“ = lateinisch für „Freue dich“ heißt.
Auch wenn wir geschichtlich nicht genau wissen, wie es mitten in der Passionzeit zu diesem der Freude gewidmeten Sonntag kommt: Fakt ist: ohne die Hoffnung und Aussicht auf Trost und gelingendes Leben lassen sich Leidenszeiten nur schwer oder gar nicht bewältigen.

Doch neben dieser Freudenbotschaft enthält unser Text, wenn wir ihn historisch betrachten, auch einige düstere Aspekte, über die nicht hinweg gepredigt sein soll.

Grundlegend für die Vorstellung unseres alttestamentlichen Propheten Jesaja ist der Knecht, der treu zu Jahwe steht. Gemeint ist das Volk Israel, das nach dem Leid des babylonischen Exils als wahres Gottesvolk übrig bleibt. Ob man zu diesem Gottesvolk gehört oder nicht, war nicht von Geburt bestimmt, sondern musste sich an der jeweiligen Lebenspraxis erweisen. So konnten zu den hier erwähnten Feinden Gottes auch diejenigen unter den Israeliten gehören die nicht nach Gottes Willen lebten.
Und, so hier die Vorstellung: so wie früher das von mächtigen Völkern unterdrückte Volk Israel diesen Völkern Tribute zollen muss, so kommt der Reichtum nun umgekehrt als Tributzahlung von den früher mächtigen Völkern, die alle nach Jerusalem kommen und dem Gott Jahwe huldigen werden. Ein Hauch Schadenfreude steckt also auch im letzten Vers. Wir kehren später zu diesen Aspekten zurück und schauen, was sie mit unserem Leben zu tun haben könnten.

Mutter Zion sorgt reichlich für ihre Kinder, und von den Kindern wird gesagt, dass sie ihre Stadt lieben.
Hier fällt mir unsere Mutter Colonia ein und der altmodische Schriftzug „Liebe Deine Stadt“.
Wir Kölner lieben unsere Stadt und schauen gerne mal auch über ihre hässlichen Seiten hinweg.
Am deutlichsten wird dies im alljährlichen Karneval: Wenn die Karnevalisten auf den Wagen des Rosenmontagszuges buchstäblich aus dem Vollen schöpfen und Kamelle auf das Volk regnen lassen, ist dies neben dem Spaß des Fangens für die Kinder und alle, die in diesem Moment wieder Kind sind, eben auch ein symbolisches Bild für die Fülle an Gutem, das ein guter Herrscher und seine Getreuen auf uns regnen lässt. Nur weil es die suggestive Kraft dieses Symbols gibt, nehmen wir die leider ebenso enthaltenen negativen Umweltaspekte in Kauf.
Das Feiernkönnen, die geradezu sprichwörtliche Lebensfreude der Kölner und die sehr besondere, offene Atmosphäre unserer Stadt hat für mich direkt zu tun mit dieser alljährlichen Inszenierung von Lebensfreude. Wer den Sinn dieses Festes auch nach Aschermittwoch in seinen Alltag übertragen kann, hat die Botschaft verstanden.
Doch schauen wir wieder auf die Botschaft unseres Textes:

Nicht nur die Stadt Jerusalem gibt Anteil an ihrer Fülle, sondern auch Gott selbst.
Ich finde es großartig: Inmitten eines Textes aus einer uralten patriarchalischen Tradition werden die weiblichen und die mütterlichen Seiten Gottes in lebensnahen Bildern mit praller Sinnlichkeit entfaltet. Es gilt aber auch:
Die mütterliche Versorgung entlässt einen nicht ins Schlaraffenland.
Man kann nicht ewig an der Mutterbrust bleiben, weder biologisch noch im übertragenen Sinne. Wer es nicht schafft, im Prozess des Erwachsenwerdens sich seiner eigenen, gleichwohl geschenkten Potenziale bewusst zu werden und sich immer nur nach dem paradiesischen Urzustand zurücksehnt, ist anfällig für gefährliche Ideologien. Wer sein Leben nicht selbständig führen kann, braucht einen starken Führer. Die totale Versorgung durch einen totalitären Staat haben wir vor über 75 Jahren gehabt, unsere ostdeutschen Mitbürger noch ein bisschen länger.

So wie Mütter ihren Kindern Nahrung und emotionale Zuwendung geben, um ihre Kinder stark zu machen für das eigene Leben, so enthält das hier dargestellte überreiche Angebot auch eine Einladung: Lasst auch andere an Eurem Reichtum teilhaben! Das steckt für mich in dem Bild vom „Diener Gottes“. Ein Diener erfüllt die Aufträge seines Herrn, hat aber auch
Verantwortung.
An vielen Stellen im Alten Testament gibt es die Aufforderung Gottes an sein Volk, sich um die Schwachen zu kümmern, z.B. um Witwen und Waisen.
Aktueller könnte eine derartige Aufforderung derzeit nicht sein, wenn wir auf das Elend der Flüchtlinge an der griechisch-türkischen Grenze schauen.
Wir sind ein reiches Land und können es uns leisten, entsprechend unser christlichen Tradition Menschen, die in bitterer Not stecken, zu helfen. Immerhin 8 Staaten haben sich geeinigt, wenigstens einen kleinen Teil der unbegleiteten Kinder und Jugendlichen von der griechisch-türkischen Grenze aufzunehmen.
Gegen die von einer bestimmten Partei geschürten irrationalen Ängste, nicht genug von den eigenen Ressourcen zu bekommen, stehen die harten Fakten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, die zeigen: zwar ist die Integration vieler geflüchteter Menschen in den Arbeitsmarkt ein lang andauernder Prozess, aber ein großer Prozentsatz dieser Menschen ist schon integriert. Viele weltliche Organisationen, aber auch
Kirchengemeinden wie die unsrige, haben Anteil daran, dass anfängliche Schwierigkeiten und Barrieren überwunden und der Weg in ein gelungenes Leben eingeschlagen werden konnte.
Es ist eben einfach nicht wahr, dass wir nur geben und nichts zurückbekommen.
An meiner Schule z.B. befindet sich eine junge, hochbegabte Afghanin, die zu den 2015 Geflüchteten gehört. Aus den Erfahrungen in ihrem Herkunftsland heraus möchte sie Jura studieren und sich speziell für Frauenrechte einsetzen. Gegenseitiger Austausch ist immer ein Gewinn, wenn er auf der Basis des gegenseitigen Respekts stattfindet. Wenn in unserem Text, wie wir gesehen hatten, von Tributzahlungen fremder Völker in einem kriegerischen Kontext die Rede war, so sehe ich hier im weiteren Sinne das, was die Menschen anderer Nationen in unseren Staat einbringen und ihn bereichern, womit nicht nur Steuerzahlungen gemeint sind.

Wenn unser Text verheißt: „Euer Herz wird sich freuen!“, ist damit nicht, wie wir zuerst denken könnten, der Sitz unserer Empfindungen gemeint.
Das hebräische Wort „lev“ meint viel Umfassenderes:
einen einsichtigen Verstand, einen klaren Blick für das Wesentliche, ein offenes Ohr.
Das Herz ist der Ort der Urteilskraft über Gut und Böse und die treibende Kraft in allem Tun; es ist die Mitte der ganzen Persönlichkeit.

Wenn verirrte Herzen Fakten fälschen, Ängste vor angeblich knappen Ressourcen schüren, um Ausgrenzungen zu bewirken, kommt es zu Taten, wie wir sie u.a. in Hanau kürzlich erleben mussten.
Und, ganz aktuell: wenn verirrte Herzen in Zeiten des Corona-Virus Hamsterkäufe in Supermärkten tätigen, liegt dem eben nicht das Vertrauen darauf zugrunde, dass für alle genug da ist. Dieses Gefühl von Solidarität, das unsere Politiker in den letzten Tagen heraufbeschwören, hat in unserem Text eine sichere Basis.
Die Basis liegt in der Zusage von Gottes Gegenwart auch in der Leidenszeit. Hierfür bürgt eine alttestamentliche Geschichte: Während das Volk Israel in Ägypten Frondienste leisten muss, floh Mose nach einem Streit mit einem ägyptischen Aufseher in die Wüste. Dort offenbarte sich ihm Gott am Dornbusch, und gibt ihm den Auftrag, sein Volk aus Ägypten herauszuführen. Mose weigert sich zunächst aus Angst vor diesem großen Auftrag und fragt Gott, was er den Israeliten sagen soll, wer ihn schickt. Gott sagt ihm: Sag den Israeliten: „Der „Ich bin da!“ hat mich geschickt. Die genauere Übersetzung ist: „Ich bin als der da, der für Euch da sein wird.“
Diese Zusage gab Mose die Kraft, ein ganzes Volk aus der Gefangenschaft zu führen und dem Volk, auch wenn es immer wieder Zweifel an Gott gab, die Kraft, diesen Weg auch durchzuhalten.

Der Trost, von dem in unserem Text die Rede ist, liegt für mich in zwei Aspekten:

  1. Euer Herz wird sich freuen.
    Das Herz als die Mitte unserer Persönlichkeit, das unser Handeln bestimmt.
  2. Die Hand Gottes ist wahrnehmbar an denen, die im °Dienst Gottes stehen

Ein schönes Beispiel für den Geist der Solidarität, den unserer Gesellschaft so dringend braucht, liefern uns ausgerechnet der Landrat und ein Unternehmer des Kreises Heinsberg:

Für sein Krisenmanagement im Kreis Heinsberg wird Landrat Pusch mit Lob überschüttet, seine Videobotschaften zum Umgang mit der Corona-Krise werden zehntausendfach angeklickt. Bon seinen Mitarbeitern erwartet er nicht stumpfes Abnicken, sondern deutliche Ansagen und ein offenes Gespräch. So ist es gelungen, durch schnelle Maßnahmen wie die frühzeitige Schließung von Kitas und Schulen die weitere Ausbreitung des Virus einzudämmen. Kein Panik- sondern ein Wir-Gefühl in der Bevölkerung. Nicht ohne Grund heißt Pusch in Heinzberg „Papa Pusch“.
Ein Unternehmer hatte die Idee, ein schwarzes T-shirt mit der Aufschrift #Hsbestrong zu entwickeln. Der Erlös aus den Spenden für dieses T-Shirt sollen einem 2jährigen Jungen zugute kommen, der das Geld für eine überlebenswichtige Behandlung braucht, die in den USA 2 Millionen Dollar kostet.
Hier ein Landesvater, der sich mit klarem Verstand um seine Landeskinder kümmert, dort eines seiner Landeskinder, das sich um ein Kind kümmert – Zeichen der Solidarität, die uns Mut machen können.

Wenn wir unsere Stadt, unseren Staat und unsere Demokratie von ganzem Herzen lieben, werden wir auch von ganzem Herzen im alttestamentlichen Sinn etwas dafür tun, dass unsere Gesellschaft nicht nur das Überleben ihrer schwächsten Mitglieder sichern kann, sondern auch ein lebenswerter Ort bleibt.
Gott hat uns dafür durch die Zusage seiner Gegenwart die Nahrung und die Kraft gegeben. Amen!“